TrueTouch
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Anouk Aipperspach
2021-06-03 14.56.58
Was hat Berührung mit Frieden zu tun?
25.01.2025 - 14:20 Uhr
Ich stehe im vollen Bus und starre ins Leere. Menschen schieben sich an mir vorbei, regennasse Rucksäcke und volle Einkaufstaschen werden zwischen Beine und Kinderwägen gepresst. Der graue Dunst dieses verhangenen Regentages kriecht mir in die Knochen.

In meinem Kopf tobt der Teufel. Ich darf nicht vergessen, einen Termin bei der Bank zu machen, die E-Mail meiner Kollegin habe ich auch noch nicht abgeschickt. Sie wird ärgerlich sein, ich spüre ihre schneidenden Blicke im Nacken. Zu viele Dinge, die ich schon wieder nicht erledigt habe, obwohl sie längst überfällig sind.

Neben mir tippt jemand hektisch auf seinem Handy, gegenüber scrollt eine Frau mit besorgtem Blick durch die Nachrichten.

Als ich aussteige, laufe ich wie ferngesteuert zu der kleinen Praxis - vor einigen Tagen hatte ich in einem Anflug von „ich muss mir mal was gönnen“ einen Termin für eine Massage vereinbart. Jetzt denke ich, ich hätte absagen sollen – es ist mir alles zu viel. Ich könnte jetzt zu Hause eine Serie anmachen, mich durch Insta wühlen und eine Pizza in den Ofen schieben. Einfach nur Ruhe, nichts mehr müssen. Rückzug. Waffenstillstand.

Ich klingele und betrete müde die Praxis. Was soll ich antworten auf die Frage, wie es mir geht? Ich weiß es nicht.

Ich bin mir selbst ja völlig fremd.


Eine halbe Stunde später liege ich da, eingehüllt in eine warme Decke. Die Hände der Masseurin berühren mich – sanft, bewusst, ohne Hast. Und plötzlich passiert etwas, womit ich nicht gerechnet habe: Tränen steigen mir in die Augen. Nicht, weil ich traurig bin. Sondern weil ich spüre, wie abgekämpft ich eigentlich bin. Wie meine Muskeln sich zusammenreißen, als müssten sie mich vor einem Angriff schützen. Wie mein Kiefer sich verschließt, als hätte ich mir selbst den Mund verboten. Ich liege da wie ein Soldat nach der Schlacht – angespannt bis in die letzte Faser, bereit, jederzeit wieder aufzuspringen.

Aber dann sind da diese Hände. Sie sind da, ohne etwas zu wollen. Ohne irgendeine Erwartung. Ich spüre, dass ich gehalten werde. Ein Gefühl von Sicherheit schleicht sich in meinen Körper, Schritt für Schritt, bis die Anspannung sich löst. Bis mein Widerstand schmilzt und mit den Tränen aus mir herausfließt. Für einen Augenblick fühle ich mich geborgen, als könnte ich loslassen. Ich muss nicht mehr kämpfen.

Ich bin einfach nur da. Und das reicht.


Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich mich den ganzen Tag über - trotz all der vielen kritischen Blicke in den Spiegel - keines einzigen Blickes gewürdigt habe. Ich habe nicht mitbekommen, wie meine Füße mich durch den Regen trugen, wie mein Bauch Schwerstarbeit leistete mit dem hastig heruntergeschlungenen Burger heute Mittag, wie meine Schultern sich schützend hoch bis zum Kinn zogen. Mein ganzer Körper ist auf Abwehr eingestellt, seit ich heute Morgen die Arena des Alltags bestieg.

Auf dem Heimweg fühlt sich die Welt anders an. Ich bin ruhiger. Weicher. Ein kleines Kind stolpert vor mir über seine eigenen Füße – ich lächle ihm zu. Ein Fremder hält mir die Tür auf – und ich bedanke mich nicht nur beiläufig, sondern schaue ihm in die Augen. Es ist ein winziger Unterschied, kaum merklich.

Aber da ist mehr Frieden in mir.


Und dann denke ich: Wenn ich mich selbst schon so verhärtet und verschlossen fühle, wie wirkt sich diese ständige Anspannung auf die Gesellschaft aus? Wie viele Menschen tragen täglich die Last dieser unsichtbaren Spannungen mit sich? Wie viele Konflikte, Missverständnisse und Stille entstehen durch diese innere Kriegsführung, die niemand aussprechen kann?

Frieden, so scheint es mir, beginnt nicht mit großen politischen Entscheidungen oder Verhandlungen an langen Tischen. Er beginnt viel kleiner – in dem Körper, in dem ich lebe. In dem Moment, in dem ich aufhöre, mich zu verteidigen, in dem ich meinen Rücken entspannen und dem anderen die Hand reichen kann, ohne Angst vor einem Angriff zu haben. Frieden beginnt dort, wo ich mich sicher fühle und mir erlaube, weich zu werden. Dort, wo ich nicht mehr kämpfen muss.

Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn jeder Mensch, der heute eine verletzende Nachricht schreibt, der mit harter Stimme spricht oder der wütend die Autotür zuschlägt – genau in diesem Moment eine Hand auf der Schulter spüren würde. Eine Berührung, die sagt: „Ich sehe dich. Ich bin hier.“

Vielleicht ist es nur ein winziger Moment. Aber vielleicht ist genau das der erste Schritt, den wir brauchen – der erste Schritt, um die unsichtbaren Spannungen in uns selbst und in unserer Gesellschaft zu lösen.

Die Berührung als Erinnerung, dass wir nicht alleine sind, dass wir gesehen und gehalten werden – und dass Frieden immer dort beginnt, wo wir es uns selbst erlauben, uns sicher und geborgen zu fühlen.
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