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Anouk Aipperspach
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Die Kunst der absichtslosen Berührung
11.02.2025 - 07:05 Uhr
Anna sitzt im Wartezimmer ihrer Hausarztpraxis und blättert gedankenverloren durch eine Zeitschrift. Eine Überschrift sticht ihr ins Auge: „Wie Berührungsmangel uns schadet.“ Sie bleibt kurz hängen, blättert dann weiter. Berührungsmangel? Nicht bei ihr. Das betrifft vielleicht die Alten in Seniorenheimen, die Einsamen. Sie wird doch ständig berührt.

Den ganzen Morgen klebte ihr Sohn an ihr, zog an ihrem Pullover, wollte auf ihren Arm. Ihr Mann hatte wieder in diesem vorwurfsvollen Ton gesagt, dass ihm die Nähe fehle – und damit meinte er nicht Gespräche oder gemeinsames Lachen. Sein flüchtiger Kuss am Morgen, schnell und beiläufig, das zählt nicht. Sie erinnert sich an die Frau im Bus, die sie beim Aussteigen angerempelt hatte, ohne sich umzudrehen. Und jetzt sitzt sie hier, weil ihr Rücken sich anfühlt, als hätte jemand Zement in ihre Muskeln gegossen – verspannt, verhärtet, schmerzhaft.

Als der Arzt ihren Rücken abtastet – seine Hände sind kühl – merkt Anna, dass sich diese Berührung kaum von all den anderen des Tages unterscheidet. Sie ist nötig, aber sie erreicht sie nicht. Sie solle sich mal entspannen. „Gönnen Sie sich mal eine Massage“, sagt der Arzt. Anna zögert. Schon wieder Berührung. Wie kann es sein, dass man so oft berührt wird und dabei so wenig fühlt?

Nicht jede Berührung berührt uns


Im Alltag begegnen wir vielen Arten von Berührungen – manche empfinden wir als angenehm, andere nicht. Und selbst bei denen, die als „normal“ oder „akzeptabel“ gelten, verschwimmen oft die Grenzen, und es bleibt unklar, was wir wirklich wollen oder brauchen.

Da sind die funktionalen Berührungen – beim Arzt, Friseur oder in der Physiotherapie. Notwendig, aber oft unpersönlich, wie in der vollen U-Bahn oder im Gedränge im Bus. Dann gibt es die sozialen Berührungen – ein Händedruck, eine Umarmung zur Begrüßung, eine Hand auf der Schulter. Freundlich, aber meist flüchtig und oberflächlich. Und schließlich die erwartungsbeladenen Berührungen, die eine Bedeutung haben oder ein Ziel verfolgen. Anna kennt solche Berührungen nur allzu gut.

Und dann gibt es noch eine ganz andere Qualität der Berührung – die, die uns wirklich erreicht. Die Berührung, die frei von Erwartungen und Absichten ist. Die uns im Moment hält, ohne etwas zu wollen.
Diese Art der Berührung ist oft die, die wir mit dem Gefühl des Gehalten- und Geliebtseins verbinden, etwa die einer Mutter, die ihr Kind im Arm wiegt. Es ist diese Art der Berührung, in der wir uns nah und gesehen fühlen, die aus reiner Fürsorge kommt und nichts für sich selbst verlangt.

Sie ist der Kern meiner Arbeit.


Anna hat sich ein Herz gefasst und einen Termin bei mir vereinbart. An der Tür zögert sie kurz, dann tritt sie ein. Der Raum empfängt sie still und warm. Kein wuseliges Wartezimmer, kein „Schnell-auf-die-Liste-bei-der-Physio“-Gefühl.
Sie atmet aus.

Als sie sich auf die Liege legt, bedecke ich sie mit einem warmen Tuch. Der erste Moment des Ankommens. Schon macht sich eine leise Ungeduld in Anna breit, als ich nicht sofort mit dem Kneten beginne.

Meine Hände ruhen noch auf dem Laken über ihren Schultern. Ich spüre die abwartende, fast misstrauische Grundspannung ihrer Muskulatur.
Die ersten Minuten sind still, wie ein Gespräch ohne Worte. Ihre Muskeln bleiben gespannt, als wollten sie sicherstellen, dass sie sich wirklich entspannen dürfen. Ich frage: „Was spürst du?“

Anna will "Garnichts...“ sagen, doch das wäre nicht wahr. Da ist etwas – ein Ziehen, ein Druck, ein Festhalten tief im Gewebe. Etwas, das sie nie wirklich bemerkt hat, weil sie nie innegehalten hat, um es zu fühlen.
Als ich den Druck leicht verändere, bemerkt sie den Unterschied – eine kleine Nuance. Ihr Atem wird zunächst kaum merklich tiefer, dann bewusster. „Wie fühlt es sich an?“, frage ich.

Anna spürt in sich hinein. Keine schnelle Antwort. Kein „Ist schon okay“. Sie spürt wirklich hin – die Verspannung ist noch da, aber ihre Wahrnehmung verändert sich. Vielleicht löst sich der Schmerz nicht sofort, aber etwas in ihr hat sich verschoben.
Mit jeder Bewegung meiner Hände verändert sich etwas. Ihre Muskeln reagieren zunächst zögerlich, dann nachgiebiger. Kein Aufbrechen von Knoten, sondern ein langsames Weichwerden.

Ihr Körper beginnt, sich selbst zuzuhören.


Und dann kommt der Moment, in dem sie nicht mehr überlegt, nicht mehr bewertet. Ihr Nacken gibt nach, ihre Schultern sinken. Sie spürt nicht nur meine Hände auf ihrer Haut, sondern sich selbst.
Am Ende der Massage bleibt sie noch eine Weile liegen. Ihre Haut fühlt sich lebendig an, der Geist ruhig, klar – nicht müde, sondern entspannt, geschmeidig. Der Schmerz im Rücken hat nachgelassen. Sie richtet sich langsam auf, spürt den Boden unter den Füßen – fester, als hätte er sie gerade erst wieder willkommen geheißen.

Die Welt draußen ist unverändert. Doch in ihr ist etwas anders.
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